Kleine Pharmakologie der Kirsche

Prunus avium, Cerasus avium

zusammengestellt von S. Bastian (2014)

Deutsch: Kirsche, Süßkirsche, Vogelkirsche, Englisch: cherry, Französisch: cerise, Italienisch: ciliegio, Spanisch: ceresa, Portugiesisch: cereja, Chinesisch: 樱桃,  Russisch: ви́шня.

Familie: Rosaceae, Rosengewächse

Verbreitung, Vorkommen: Kirschen stammen aus Asien und sind heute in Europa, Nordafrika und Asien beheimatet. Das Verbreitungsgebiet wurde durch die Siedler auf Teile Nordamerikas ausgeweitet.
Blüte:  April bis Mai;
Frucht: Juni bis Juli;
Standort: Wälder, Hecken und kultiviert als Obstbaum.

Beschreibung: bis zu 25 m hoher Baum mit rotbraun bis grausilbrig glänzender Rinde, die sich horizontal in Streifen ablösen läßt. Die Blätter sind im Umriß eiförmig und am Rand deutlich gesägt. Die Blütenstände stehen einzeln, zu zweit meist in 3-  bis mehrblütigen, aufrechten Doldentrauben oder Dolden. Der Blütenstand ist ohne Laubblätter (Schmeil & Fitschen, 1982).

Giftige Pflanzenteile: Der Kirschkern enthält Amygdalin (CAS-Nr. [29883-15-6; Synonyme: Amydalosid, D(-)-Mandelnitril-β-gentiobiosid, Laetrile), ein cyanogenes Glykosid, das in Gegenwart von Wasser Blausäure freisetzt (Roth, Daunderer, & Kormann, 1994).

Wirkstoffe: Folsäure, Niacin, Vitamine (Vitamin A, B1, B2, B6, C und E), Mineralstoffe (Eisen, Phosphor, Calcium, Magnesium, Kalium und Zink) und Farbstoffe, bei denen besonders die Anthocyane zu nennen sind (Radulescu & Uerpmann, 2012).

Pharmakologie: Pharmakologische Eigenschaften von Kirschen werden schon lange in pharmazeutischen Abhandlungen beschrieben. Insbesondere der Gehalt an Amygdalin war in der Medizin des 18. Jh. von Interesse: „Die schwarzrothen, sehr süßen Beeren (Cerasa nigra) welche eine angenehme Speiße für Vögel und Kinder, dienten für die Apotheke ehedem zur Bereitung des Kirschwassers (Aqua cerasorum nigrorum), indem man die frischen mit den Kernen zerstoßenen Beeren (und etwas Wasser) zur Destillation einsetzte. Seine Arzneikraft beruht blos auf dem Bittermandelstoffe der Kerne, welcher mit dem Wasser übergeht. Jetzt pflegt man billig blos die zerstampften Kerne verschiedner Arten Kirschen zur Bereitung dieses Wassers zu nehmen; er wird aber von abweichender Stärke verfertigt, daß man es nicht wohl als Arzneimittel brauchen kann, während es auf der andern Seite auch nicht für so unschuldig als ein andres einfaches destillirtes Wasser anzusehen ist, vorzüglich für Kinder, bei denen es oft gemisbraucht wird. Man hält es für herzstärkend und im Schwindel, in Lähmung (der Zunge und Sprachorgane, u.s.w.) und der Eklampsie der Kinder dienlich.“  (Hahnemann, 1793-99). Das hier beschriebene Kirschwasser wurde ähnlich wie Kirschlorbeerwasser verwendet, das wiederum zur Lösung von Krämpfen eingesetzt wurde (Meyer, 1835).

In der traditionellen Chinesischen Medizin werden Kirschen eingesetzt zur Behandlung von Husten, Urticaria, Pruritus, Dermatitis (Kim, 1997), Asthma und Masern (Yook HS, 2010).

Heute werden in Studien noch weitere interessante Indikationen für Kirschen untersucht.

Kirschen und besonders Süßkirschen sind ernährungswissenschaftlich wertvolle Früchte. Sie sind reich an Anthocyanen, Quercetin, Hydroxycinnamaten, Kalium, Ballastoffen, Vitamin C, Karotinoiden, und Melatonin. Die UV-Konzentration, der Reifegrad, Lagerbedingungen nach der Ernte und die Zubereitung (Processing), können einzeln signifikant den Gehalt der Nährstoffe und der bioaktiven Komponenten beeinflussen. Die Zusammensetzung der Nährstoffe und bioaktiven Nahrungsbestandteilen unterstützen die mögliche präventive Förderung der Gesundheit durch den Genuß von Kirschen im Zusammenhang mit Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes, Entzündungen und Alzheimer. Kirschen entwickeln eine relative hohe anti-oxidative Aktivität, lösen nur geringe glykämische Reaktionen aus, inhibieren COX-1 und -2 Enzyme und zeigen anti-karzinogene Effekte in vitro und auch in Tierexperimenten (McCune, Kubota, Stendell-Hollis, & Thomson, 2011).

In einer Studie der Boston University School of Medicine konnte die Wirkung von Kirschen insbesondere im Frühstadium von Gicht nachgewiesen werden. Das Risiko einen Gichtanfall zu erleiden wurde durch den Verzehr von Kirschen um 35% reduziert, bei der Einnahme von Kirsch-Extrakt sank das Risiko sogar um 45%. Insgesamt nahmen 633 Patienten an dieser Studie teil (Zhang, et al., 2012).

Eine weitere cross-over Studie untersuchte 58 nicht diabetische Patienten mit Osteoarthritis (Kellgren Grad 2-3). Die randomisierten Patienten erhielten Kirschsaft oder Placebo über 4 Wochen. Der Western Ontario McMaster Osteoarthritis Index (WOMAC) sowie die Gehzeiten vor und nach der Behandlungsperiode wurden bestimmt. Zusätzlich wurden folgende Plasmawerte ermittelt: Urate, Kreatinin und C-reaktives Protein (CRP). Der WOMAC Index sank signifikant unter der Kirschsaft-Einnahme, ebenso wie der Wert für CRP, was mit der WOMAC-Verbesserung assoziiert ist. Gehzeit, Plasma-Urate sowie Kreatinin veränderten sich nicht. Zusammenfassend resultierte der Genuß von Kirschsaft in einer Linderung der Symptome, jedoch war dieser Effekt nicht signifikant (Schumacher, et al., 2013).

In der aktuellsten Studie wurde die Wirkung von Sauerkirschextrakt (SCE) auf die Hemmung von humanen peripheren T-Zellen (Lipopolysaccharid (LPS)-behandelt), die Tumornekrosefaktor-alpha (TNFα) exprimierten, sowie Interleukin-8 (IL8) untersucht. Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, daß der SCE eine modulatorische Rolle in der Entwicklung der rheumatoiden Arthritis und anderer entzündlicher Erkrankungen über die Induktion der Haemoxidase-1 (HO-1) spielen kann, indem der oxidative Streß reduziert wird und die Regulation pro-inflammatorischer Signalwege unterstützt wird (Mahmoud, et al., 2014).

Literatur:

Hahnemann, S. (1793-99). Apothekerlexikon (Bd. 2). Leipzig: Crusius. Abgerufen am 02. 07 2014 von www.zeno.org/Kulturgeschichte/M/Hahnemann,+Samuel/Apothekerlexikon/V/Vogelkirsche

Kim, J. G. (1997). Illustrated Natural Drugs Encyclopedia. Seoul: Namsandang.

Mahmoud, F., Haines, D., Al-Awadhi, R., Dashti, A., Al-Awadhi, A., Ibrahim, B., . . . Tosaki, A. (May 2014). Sour cherry (prunus cerasus) seed extract increases heme oxygenase-1 expression and decreases proinflammatory signaling in peripheral blood human leukocytes from rheumatoid arthritis patients. Int Immunopharmacol., 20(1), S. 188-96. doi: 10.1016/j.intimp.2014.02.031

McCune, L., Kubota, C., Stendell-Hollis, N., & Thomson, C. (January 2011). Cherries and health: a review. Crit Rev Food Sci Nutr., 51(1), S. 1-12. doi:10.1080/10408390903001719.

Meyer, C. J. (1835). Handbuch der Pharmakologie als Erläuterung aller in der österr. Pharmakopöe vom J. 1834 enthaltenen Arzneymittel: Zem Gebrauche für Ärzte, Wundärzte und Apotheke. Güns: Carl Reichard's Verlag. Abgerufen am 02. 07 2014 von books.google.de/books

Radulescu, A.-P., & Uerpmann, S. (2012). huettenhilfe. Abgerufen am 02. 17 2014 von Kirschen (Prunus Avium): lexikon.huettenhilfe.de/obst/kirsche.html

Roth, L., Daunderer, M., & Kormann, K. (1994). Giftpflanzen - Pflanzengifte. Landsberg/Lech: ecomed Verlagsgesellschaft AG & Co. KG.

Schmeil, O., & Fitschen, J. (1982). Fauna von Deutscchland und seinen angrenzenden Gebieten. (W. u. Rauh, Hrsg.) Heidelberg, Deutschland: Quelle & Meyer.

Schumacher, H., Pullmann-Mooar, S., Gupta, S., Dinella, J., Kim, R., & McHugh, M. (28. Juni 2013). Randomized double-blind crossover study of the efficacy of a tart cherry juice blend in treatment of osteoarthritis (OA) of the knee. Osteoarthritis and Cartilage. doi:10.1016/j.joca.2013.05.009

Yook HS, K. K. (2010). Antioxidative and antiviral properties of flowering cherry fruits (Prunus serrulata L. var. spontanea). Am J Chin Med., 38 (5), S. 937-48. doi:10.1142/S0192415X10008366

Zhang, Y., Neogi, T., Chen, C., Chaisson, C., Hunter, D. J., & Choi, H. K. (December 2012). Cherry Consumption and Decreased Risk of Gout Attack. Artheritis and Rheumatism, S. 4004-4011. Abgerufen am 02. 07 2014 von http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/art.34677/pdf

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